Diesel-Abgasskandal.
Wann verjähren die Ansprüche geschädigter Dieselkäufer im Abgasskandal? Diese rechtlich komplexe Frage ist nach wie vor umstritten. Ein Beschluss des Amtgerichts Marburg zeigt nun eine neue Perspektive auf und eröffnet geschädigten Autokäufern die Möglichkeit, ihre Ansprüche weit über 2020 hinaus einzufordern.
Nach der bislang vorherrschenden Rechtsauffassung sind Schadenersatzansprüche von vielen VW-Kunden im Diesel-Abgasskandal seit Ende 2019 verjährt. Das Amtsgericht Marburg vertritt aber nun die Ansicht, dass der Schadenersatzanspruch von Geschädigten nicht nach 3 Jahren, sondern gem. § 852 BGB erst nach 10 Jahren verjähren soll (16.06.2020, Az. 9 C 891/19).
Im § 852 BGB heißt es wie folgt: „Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an …“
Voraussetzung ist, dass grundsätzlich ein Schadenersatzanspruch besteht – und das hat der BGH im Diesel-Abgasskandal klar bejaht, zunächst nur in Hinblick auf VW, doch das Urteil dürfte richtungsweisend für die Verfahren gegen andere Autohersteller sein.
„Der Marburger Beschluss bietet einen interessanten Denkanstoß. Denn er besagt, dass Hersteller, die – wie VW – ihre Kunden vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht haben, für deren finanzielle Verluste auch noch 10 Jahre später geradestehen müssen. Mit seiner Hinhaltetaktik und seinen Versuchen, Verfahren bis zum Ende der Verjährung hinauszuzögern, kommt Volkswagen also nicht durch. Wenn auch höhere Instanzen diese Rechtsauffassung bestätigen, haben auch Dieselkäufer, die bislang davon ausgegangen sind, dass ihre Ansprüche Ende 2019 verjährt sind, gute Chancen, zu ihrem Recht zu kommen.“
Partner Dr. Marco Rogert
Umstritten: Wann beginnt die Verjährunsgfrist?
Der Beschluss des Amtsgerichts Marburg wirft ein neues Licht auf eine ungeklärte und umstrittene Frage. Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB sind üblicherweise nach 3 Jahren verjährt – so sieht es § 195 BGB vor. Bis heute strittig ist allerdings, wann genau diese 3-Jahres-Frist beginnt. Laut § 199 BGB läuft sie ab dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist bzw. der Dieselkäufer Kenntnis von den „anspruchsbegründenden Umständen“, also vom Vorhandensein einer illegalen Abschalteinrichtung hatte oder hätte haben müssen. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Denn zur Frage, wann die Kunden von der Abgasmanipulation, insbesondere beim Skandal-Motor EA189, hätten wissen können, gibt es bis heute verschiedene Ansichten:
- Die Verjährung hat Ende 2015 begonnen, also mit Ablauf des Jahres als der Abgasskandal öffentlich wurde. In diesem Fall hätten Dieselkäufer ihre Ansprüche bis 31.12.2018 geltend machen müssen.
- Die Verjährung hat Ende 2016 bzw. 2017 begonnen als VW Dieselkäufer über Abschalteinrichtungen im EA 189 informierte. In diesem Fall wäre die Verjährungsfrist zum 31.12.2019 abgelaufen bzw. würde zum 31.12.2020 enden. Dabei ist zu bedenken, dass VW bis zum BGH-Urteil im Mai stets bestritten hat, dass den Käufern überhaupt ein Schaden entstanden sei. Folgt man dieser abenteuerlichen Argumentation stellt sich die Frage, wie die Kunden Kenntnis von Schäden haben können, die es angeblich gar nicht gibt.
- Etliche Juristen und Gerichte vertreten daher im Einklang mit dem BGH die Auffassung, dass die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn die Rechtslage klar ist. Doch wann das der Fall ist, dazu gibt es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen:
- Nach den ersten oberlandesgerichtlichenn Urteilen gegen VW im Jahr 2018 – dann würde die Verjährungsfrist am 31.12.2021 enden.
- Nach dem BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 – dann würde die Verjährungsfrist erst zum 31.12.2023 enden. Diese Ansicht vertreten u. a. das Landgericht Trier, das Landgericht Frankfurt am Main sowie das Landgericht Duisburg. Letzteres sagte in seinem Urteil klipp und klar: „Solange eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in einem vergleichbaren Fall nicht vorliegt, muss die Rechtslage aber als ungeklärt angesehen werden.“
Besondere Regelungen gelten für Dieselkäufer, die sich der Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen hatten, aber ihre Teilnahme widerrufen oder das VW-Vergleichsangebot nicht erhalten bzw. nicht angenommen haben.
Noch viele offene Fragen zur Verjährung
Darüber hinaus sind weitere Fragen offen: Was gilt für Dieselkäufer, die andere Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns, etwa Audi oder Porsche erworben haben? Oder Fahrzeuge mit anderen Motoren, etwa dem EA288? Wann verjähren die Ansprüche von geprellten Mercedes- und BMW-Käufern? Und wie wirken sich Software-Updates auf die Verjährung aus? Schließlich hat sich gezeigt, dass die Abgasreinigung oftmals selbst nach Software-Updates nur innerhalb eines engen Temperaturbereichs funktioniert. Solche Thermofenster haben sowohl deutsche Gerichte als auch die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs klar als illegal bewertet.
Es kommt auf den Einzelfall an
Geht man, wie das Marburger Amtsgericht, von einer Anwendung des § 852 BGB aus, so verliert die Frage nach der Verjährungsfrist ihre Dringlichkeit, da das Zeitfenster für Forderungen von Geschädigten mit 10 Jahren wesentlich größer ist. Bis zu einem höchstrichterlichen Urteil des Bundesgerichtshofs, das Ende Juli 2020 erwartet wird, bleibt die Thematik brisant. Grundsätzlich muss die Frage nach der Verjährung für jeden Einzelfall geklärt werden. Geschädigte Dieselkäufer sollten daher unbedingt den Rat eines kompetenten und in der Abgasskandal-Thematik erfahrenen Anwalts einholen.
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