VW Abgasskandal.
Nach fast 5 Jahren Abgasskandal hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem Grundsatzurteil endlich für Rechtssicherheit gesorgt. Das Gericht hat klargestellt, dass Käufer manipulierter Dieselautos von VW grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz haben. Doch wem nutzt diese Entscheidung? Wer kann jetzt noch klagen? Und was ist mit Besitzern von Fahrzeugen anderer Hersteller, die ebenfalls illegale Abschalteinrichtungen eingesetzt haben? Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was genau hat der BGH entschieden?
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Käufern eines manipulierten VW-Diesel grundsätzlich Schadensersatz zusteht, und zwar unabhängig davon, ob sie einen Neu- oder Gebrauchtwagen erworben haben. Denn mit dem Einbau illegaler Abschalteinrichtungen hat VW seine Kunden gemäß § 826 BGB auf besonders verwerfliche Weise vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und ihr Vertrauen und ihre Arglosigkeit zum Zweck der Gewinnmaximierung über Jahre hinweg gezielt ausgenutzt. Stephan Seiters, Vorsitzender Richter am BGH hat dazu klare Worte gefunden und festgestellt, dass Schaden bereits beim Autokauf entstanden ist. Betroffene Autobesitzer können daher ihr Fahrzeug zurückgeben gegen Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die bereits zurückgelegten Kilometer.
Welcher Fall lag dem BGH-Urteil zugrunde?
Im zugrundeliegenden Fall hatte der Käufer eines VW Sharan 2.0 TDI-Jahres¬wagen mit einem manipulierten EA189-Motor auf Rücknahme des Fahrzeugs geklagt. Er hatte den Diesel 2014 für 31.500 Euro erworben. In erster Instanz hatte das Landgericht Bad Kreuznach seine Klage abgewiesen. Doch das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz verurteilte VW zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Der BGH hat dieses Urteil im Revisions¬verfahren (Az. VI ZR 252/19) auf Rechtsfehler überprüft und im Wesentlichen bestätigt.
Was hat es mit der Nutzungsentschädigung auf sich – wie berechnen sich diese?
Obgleich die obersten Zivilrichter das Vorgehen von VW als besonders verwerflich bewerteten, haben sie dem Autokonzern eine Nutzungsentschädigung für die mit dem Betrugs-Diesel gefahrenen Kilometer zugestanden. Denn das deutsche Recht, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters, kenne keinen Strafschadensersatz.
1976 hatte der BGH diese Frage noch anders bewertet: Damals hieß es, ein solcher Vorteil sei nur anzurechnen, wenn dies dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unbillig entlastet. Dieser Auffassung sind auch im Abgasskandal einige Gerichte gefolgt, etwa das Landgericht Frankfurt am Main. Leider hat sich der BGH mit seinem aktuellen Urteil von diesem selbst aufgestellten Grundsatz verabschiedet.
Für die Berechnung der Nutzungsentschädigung ist entscheidend, welche Laufleistung die Richter im konkreten Einzelfall ansetzen. Im Allgemeinen gehen Gerichte hier von 250.000 bis 300.000 Kilometern aus. Den individuellen Wert können Sie ganz einfach mit unserem Nutzungsentschädigungsrechner ermitteln.
Welche Bedeutung hat die Entscheidung des BGH?
Grundsätzlich gilt das BGH-Urteil nur für den vorliegenden Einzelfall des Sharan-Käufers. Andere Richter sind daran nicht zwingend gebunden. Dennoch hat die Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts maßgeblichen Einfluss auf alle weiteren ausstehenden Verfahren im Abgasskandal. Denn nachgeordnete Instanzen wie Landgerichte und Oberlandesgerichte werden sich an der höchstrichterlichen Entscheidung orientieren, und das mit Sicherheit nicht nur in Verfahren gegen den Volkswagen-Konzern, sondern auch gegen andere Autohersteller, die ihre Kunden mit Softwaremanipulationen getäuscht haben. Aus diesem Grund ist das Karlsruher Urteil ein Meilenstein – und ein historischer Sieg für den Verbraucherschutz.
Wer profitiert jetzt von dem BGH-Urteil?
Auf jeden Fall Käufer von manipulierten Dieseln, die ihr Fahrzeug vor Bekanntwerden des Abgasskandals, also vor September 2015, erworben haben. Sie können jetzt Ansprüche auf Rückabwicklung und Schadenersatz geltend machen, und zwar für Neuwagen ebenso wie für Gebraucht-Pkw.
Autobesitzer, die erst ab 1. Januar 2017 erfahren haben, dass in ihrem Diesel eine illegale Abschalteinrichtung steckt, und Käufer, die bereits geklagt haben, ohne dass bislang ein rechtskräftiges Urteil in ihrem Verfahren vorliegt, dürften ebenfalls von dem Entschied profitieren. Das gilt auch für Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage, die kein Vergleichsangebot von VW angenommen oder ihr Einverständnis widerrufen haben und deren Forderungen noch nicht verjährt sind.
In allen übrigen Fällen sind Ansprüche wahrscheinlich verjährt, wenngleich der BGH sich zur Frage der Verjährung noch nicht konkret geäußert hat.
Was wird VW jetzt tun?
VW hat unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung angekündigt, den rund 60.000 Klägern, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind, Entschädigungen ohne Fahrzeugrückgabe anzubieten. Wir empfehlen allen Betroffenen ein solches Angebot anwaltlich prüfen zu lassen, um genau zu wissen, ob es sich wirklich lohnt. Tendenziell dürfte das aufgrund der vom Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsentschädigung eher bei Vielfahrern der Fall sein. Für alle, die ein teures Fahrzeug wenig gefahren haben, könnte die individuelle Klage der vielversprechendere Weg sein. Hier kommt es auf den Einzelfall an.
Was ist, wenn ich einen Betrugs-Diesel mit einem anderen Motor als dem EA 189 oder von einem anderen Hersteller gekauft habe?
Die Entscheidung des BGH wirkt sich zunächst nur auf den Einzelfall des Sharan-Käufers aus. In diesem Fahrzeug ist der „Skandalmotor“ EA 189 verbaut. Aber inzwischen ist bekannt, dass Volkswagen auch bei dem vermeintlich sauberen Nachfolger EA 288 betrogen hat, sowie beim EA 897, der vor allem in den Premium-Dieseln des Konzerns verbaut wurde. Darüber haben auch andere Autohersteller illegale Abgasmanipulationen vorgenommen und wurden deshalb zu Schadenersatz verurteilt. Auch sie müssen sich jetzt warm anziehen, denn das BGH-Urteil hat auf diese Fälle eine Signalwirkung. Außerdem steht noch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus. Hier geht es um die Zulässigkeit von „Thermofenstern“, die u.a. BMW und Daimler nutzen. Auch hier rechnen wir mit einem verbraucherfreundlichen Urteil – und einer neuen Klagewelle.
Welche Fragen sind jetzt noch offen und wann wird darüber entschieden?
Das Grundsatzurteil des BGH hat Rechtssicherheit zentralen Fragen gebracht, einige sind allerdings noch offen geblieben: etwa nach deliktischen Zinsen, die Geschädigten von vielen Landgerichten und einigen Oberlandesgerichten zugesprochen wurden. Ebenfalls noch zu klären ist, die Frage der Verjährung und ob ein Fahrzeugerwerb nach Bekanntwerden des Abgasskandals in der Öffentlichkeit dennoch zu Schadenersatz berechtigt. Diese Fragen dürfen in drei weiteren beim BGH angesetzten Terminen am 21. und 28. Juli zur Sprache kommen.
Was muss ich jetzt tun, um meinen Anspruch auf Schadensersatz geltend zu machen?
Wir empfehlen: Holen Sie sich dringend kompetente Unterstützung durch einen versierten Anwalt. Er kann ihre Chancen beurteilen und gemeinsam mit ihnen die nächsten Schritte planen, damit Sie zu Ihrem Recht kommen.
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