Oberlandesgericht Oldenburg: Keine Verjährung im Jahr 2020

Geschädigte Autofahrer sind nicht verpflichtet sich aktiv zu informieren, ob ihr Pkw-Modell vom millionenfachen Abgasskandal betroffen ist. Auch die anhaltende Medienberichterstattung zum größten Wirtschaftsskandal Deutschlands – auch bekannt als Diesel-Gate – ändert daran nichts. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg stellt die Medienpräsenz des Themas keine Grundlage dar, aus welcher für die Verbraucher eine Verpflichtung erwächst sich informieren zu müssen, ob auch ihr Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung manipuliert ist.

VW scheitert mit seiner Argumentation

VW hatte der Klägerin in diesem Fall auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis vorgeworfen. Dieser Vorwurf wurde seitens der Richter des OLG Oldenburgs zurückgewiesen und ausführlich begründet. Die Volkswagen AG wurde zur Rücknahme des 9 Jahre alten Tiguan der Klägerin gegen Zahlung von knapp € 13.600,- verurteilt (Urteil vom 17.06.2021, Az. 8 U 212/20).

Die Klägerin hatte sich nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt und ihre Klage gegen VW erst im Jahr 2020 beim Landgericht Osnabrück eingereicht. Bereits dieses verneinte die Verjährung. Das OLG Oldenburg – als nächsthöhere Instanz – bestätigte nun den Richterspruch aus Osnabrück.

Wer ein Fahrzeug zu kaufen beabsichtigt, informiere sich über die Eigenschaften des Fahrzeugs, stellte das Gericht fest. Ist das Fahrzeug aber einmal gekauft, sei das Thema erledigt und es bestehe kein Anlass für den Verbraucher Eigenschaften des Modells zu hinterfragen. Somit bestehe für den Käufer auch keine Verpflichtung Eigeninitiative zur Klärung des Sachverhalts zu entwickeln. In der Regel kenne ein Käufer die technische Bezeichnung des Motors in seinem Wagen nicht, weshalb es sich dem Verbraucher auch nicht erschließt, dass sein Wagen vom Abgasskandal betroffen ist.

Es besteht keine Verpflichtung des Verbrauchers zur Recherche

Vielmehr sei eine aktive Recherche der Geschädigten erforderlich gewesen, um die eigene Betroffenheit im Abgasskandal in Erfahrung zu bringen. Niemand musste von sich aus davon ausgehen, dass sein Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge, heißt es im Urteil. Auch wenn eine Nachfrage, wie VW in diesen Verfahren jedes Mal ausführt, einfach und kostenlos gewesen sei, bestehe in dieser Situation keine Verpflichtung des Halters nachzuforschen, ob sein Fahrzeug von der Abgasmanipulation betroffen ist.

Ob das von der Volkswagen AG angeführte Halteranschreiben von Februar 2016 ausreiche, um eine auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis der Klägerin anzunehmen, bedürfe hier keiner Entscheidung – der Zugang eines entsprechenden Schreibens im Jahr 2016 konnte im aktuellen Fall nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden.

Viele Geschädigte, die keine verjährungshemmenden Maßnahmen ergriffen hatten und ihre Klage erst im Jahr 2020 eingereicht haben, können sich nun also wieder Hoffnung machen. Die Quintessenz dieses Richterspruchs: Weder kann eine generelle Kenntnis noch eine fahrlässige Unkenntnis des Halters von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Abgasskandal vorausgesetzt werden – es kommt immer auf den Einzelfall an!

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