Aktuelles Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main zum VW-Abgasskandal.
Im Abgasskandal geschädigte Dieselkäufer, die ihre Fahrzeuge nach 2015 erworben haben, können ihre Forderungen immer noch geltend machen, denn ihre Schadensersatzansprüche sind nicht verjährt. Diese Rechtsauffassung vertreten immer mehr Gerichte – ganz aktuell das Landgericht Frankfurt am Main. Die 21. Zivilkammer hat unserem Mandanten Entschädigung zugesprochen, obwohl er seinen VW-Diesel erst 2016 erworben hat.
Auch wenn Volkswagen nicht müde wird zu behaupten, dass Käufern von VW-Dieseln mit dem EA 189-Motor durch Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung kein Schaden entstanden sei, enden Verfahren im Abgasskandal üblicherweise damit, dass der Autokonzern zur Rücknahme der Fahrzeuge und Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung verurteilt wird. So auch vor dem Landgericht Frankfurt am Main (10.07.2020, Az. 2-21 O 2/19). Das Gericht bewertete die Prüfstanderkennung („Umschaltlogik“) als besonders verwerfliche Verbrauchertäuschung und sprach dem Käufer eines VW Golf der Abgasnorm Euro-5 Schadensersatz nach § 826 BGB zu. Abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die zurückgelegten Kilometer erhielt unser Mandant mit Urteil vom 10.07.2020 einen Anspruch auf Zahlung von rund 12.500 Euro zzgl. deliktischer Zinsen zugesprochen.
Die Verjährungsfrist hat noch nicht begonnen
Was diesen Fall besonders interessant macht: Der Kläger hatte das Fahrzeug erst 2016 erworben, also nachdem die ersten Informationen zu Abgasmanipulationen bei VW-Dieseln kursierten. Prompt behauptete Volkswagen, die Ansprüche seien verjährt. Der Käufer des Golf habe seit 2015 Kenntnis von der „Umschaltlogik“ haben können, und zwar aufgrund einer Ad-hoc-Mitteilung des Konzerns sowie der folgenden Medienberichterstattung. Damit wäre die dreijährige Verjährungsfrist seit Ende 2018 abgelaufen.
Dieser Argumentation ist die Frankfurter Zivilkammer nicht gefolgt. Vor allem aber erklärte er, dass die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB in Verbindung mit 199 Abs. 1 BGB zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2019 noch gar nicht begonnen habe.
Informationen von Volkswagen und Medienberichte begründen keine „Positive Kenntnis“
Voraussetzung für den Beginn der Verjährung sei, so das Gericht, die positive Kenntnis der Umstände, die den Schadensersatzanspruch begründen – und die habe der Kläger nicht gehabt. Daran ändern weder verschiedene Medienberichte etwas, in denen u. a. der Golf- der sechsten Generation als betroffenes Fahrzeugmodell genannt wurde, noch die Anfang Oktober 2015 in verschiedenen Print- und Online-Medien veröffentlichten Informationen über eine Website, auf der betroffene Fahrzeuge gelistet sind. Ad-hoc-Meldungen, die nicht an ihn gerichtet waren, habe der Käufer des VW Golf nicht zur Kenntnis nehmen müssen. Es sei auch nicht seine Pflicht gewesen, sich aktiv beim Volkswagen Kunden Service danach zu erkundigen, ob sein Fahrzeug mit Manipulationssoftware ausgestattet ist. Insofern liege auch keine grob fahrlässige Unkenntnis vor.
„Wir begrüßen dieses Urteil! Für unseren Mandanten konnten wir eine gute Entschädigung erwirken, und das Gericht hat eindeutig klargestellt, dass die schwammigen Erklärungen, die Volkswagen abgegeben hat, als der Abgasskandal ruchbar wurde, völlig unzureichend waren. Dieselkäufer konnten nicht wissen, ob die von ihnen erworbenen Fahrzeuge mit Betrugs-Software ausgestattet sind. Daher kann die Verjährungsfrist für ihre Schadensersatzansprüche auf keinen Fall bereits 2015 begonnen haben. Zum Thema „Kauf in Kenntnis“ entscheiden inzwischen immer mehr Gerichte klar im Sinne der Verbraucher: neben dem Landgericht Frankfurt am Main zum Beispiel auch die Oberlandesgerichte Köln, Oldenburg und Hamm. Vor dem Bundesgerichtshof steht das wichtige Thema ebenfalls an. Wir gehen davon aus, dass der Senat beim Verfahren am 28. Juli 2020 hier Klarheit für tausende betroffene Autofahrer schafft.“
Partner Dr. Marco Rogert
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