Der Betrug mit sogenannten Kryptowährungen breitet sich weltweit weiter aus. Allein in den vergangenen zwei Jahren sollen über 25 Milliarden Euro an illegalen Vermögenswerten durch Krypto-Handelsplattformen geschleust worden sein – das belegt eine internationale gemeinsame Recherche.
Ausgangspunkt war eine unscheinbare Internetanzeige. Felix Wandraschek (Name geändert) stieß dort auf eine vermeintlich attraktive Investmentchance und gab seine Kontaktdaten ein. Bereits am nächsten Tag, so schildert er es heute gegenüber seinem Anwalt, meldete sich ein Mann telefonisch bei ihm. Die Stimme habe seriös gewirkt. Schritt für Schritt investierte Wandraschek schließlich rund zwanzig Millionen Euro – ein Großteil davon ist verschwunden.
Dieser außergewöhnliche Fall ist nach Informationen von WDR, NDR, SZ und Profil inzwischen Bestandteil eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Wien. Große Hoffnung, dass Wandraschek seine gesamten Anlagen zurückerhält, hat sein Anwalt Roman Taudes allerdings nicht.
Der Fall steht beispielhaft für eine Vielzahl mutmaßlich krimineller Machenschaften, bei denen Kryptowährungen international eine immer bedeutendere Rolle spielen. Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR haben gemeinsam mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) sowie über 30 weiteren internationalen Partnern mit zahlreichen Betroffenen gesprochen. Im Rahmen des Projekts „The Coin Laundry“ sammelten die Reporter Hunderte Wallet-Adressen – digitale Konten, über die Kryptotransaktionen abgewickelt werden.
Zehntausende Transaktionen rekonstruiert
Auf Basis der ausgewerteten digitalen Wallets konnten die Reporter Zehntausende Transaktionen nachvollziehen, über die mutmaßlich Gelder in kriminelle Kanäle gelangt sind. In Verbindung mit Daten der Analyseplattform Chainalysis ergibt sich ein deutliches Bild: Innerhalb der vergangenen zwei Jahre sollen mindestens 25 Milliarden Euro an illegalen Mitteln über Krypto-Börsen geflossen sein.
Der Fall Wandraschek verdeutlicht exemplarisch, wie die Täter offenbar vorgehen. Laut Unterlagen, die WDR, NDR, SZ und Profil vorliegen, startete er zunächst mit kleineren Beträgen – einige Hundert bis wenige Tausend Euro. Doch schnell wurden die Summen höher. Für ihn wurden Konten auf Krypto-Handelsplattformen eingerichtet, auf die er anschließend reale Euro überwies, die dort in Kryptowährungen umgetauscht wurden.
Der mutmaßliche Betrüger habe sich, so Anwalt Roman Taudes, als Mitarbeiter einer angeblichen Kryptobörse ausgegeben. Auf der Plattform konnte Wandraschek Einzahlungen und vermeintliche Gewinne einsehen. Doch die Handelsseite gab es dem aktuellen Ermittlungsstand zufolge nie – es handelte sich um eine täuschend echt gestaltete Fälschung. Die eingezahlten Gelder sollen unmittelbar weitergeleitet und in verschiedene digitale Vermögenswerte umgewandelt worden sein. Als Wandraschek schließlich misstrauisch wurde, lag der Verlust nach Erkenntnissen der Ermittler bereits bei rund 20 Millionen Euro. Die Täter konnten bisher nicht identifiziert werden.
Kriminelle profitieren von laxen Kontrollen
Nach Erkenntnissen der internationalen Reporter haben Kriminelle bei vielen Krypto-Börsen leichtes Spiel. Einige Plattformen ließen auffällige Transaktionen mehrfach passieren, wie Gespräche mit deutschen Ermittlern zeigen. In verschiedenen Fällen sollen Konten erst sehr spät gesperrt worden sein.
Ein weiteres Problem: Viele Börsen kooperieren nur begrenzt mit Behörden. Zudem fallen zahlreiche Kryptowerte nicht unter europäische oder amerikanische Regulierung – vor allem, wenn die Anbieter in Drittstaaten registriert sind.
Wandraschek versuchte in mühsamer Detailarbeit, sein Geld zurückzuverfolgen. Doch nur wenige Kryptobörsen antworteten überhaupt auf Anfragen. Immerhin sollen österreichische Ermittler von Binance – der weltweit größten Kryptobörse – Informationen zu 63 Konten erhalten haben, die mutmaßlich mit dem Betrugssystem verknüpft sind. Von dort aus führt die Spur zu nahezu 2.000 weiteren Konten, auf die Teile des Geldes verteilt worden sein sollen. Ein weit verzweigtes Netzwerk, das automatisiert ausgewertet werden konnte.
Verdacht auf Strohmann-Konten
Der Informatiker Bernhard Haslhofer, Leiter einer Forschungsgruppe für digitale Währungen am Complexity Science Hub in Wien, hat die Binance-Daten im Auftrag des Anwalts Taudes analysiert. Die Auswertung, die WDR, NDR und SZ einsehen konnten, identifiziert zahlreiche mutmaßliche Strohmann-Konten. Denn die hinterlegten Besitzerprofile passen oft nicht zu den enormen Summen, die über diese Konten geflossen sein sollen.
Alle eingehenden Kryptowährungen seien laut Analyse sofort in andere Coins umgewandelt, abgebucht und weitergeleitet worden. Ein Transaktionsmuster, das Ermittlungen erheblich erschwert.
Binance äußerte sich auf Anfrage der Medien nicht zu den 63 Konten im konkreten Fall. Grundsätzlich betone das Unternehmen jedoch, höchsten Sicherheitsstandards zu entsprechen, risikoreiche Aktivitäten und Transaktionen zu überwachen und eng mit internationalen Strafverfolgern zusammenzuarbeiten.
Doch Binance war nicht die einzige Plattform, über die Gelder gewandert sein sollen. Die Spur führt zu vielen weiteren Börsen weltweit.
Nicht nur Betrug
Ermittler stellen fest, dass sich das kriminalistische Spektrum im Krypto-Bereich deutlich erweitert hat. Längst geht es nicht mehr ausschließlich um betrügerische Anlagegeschäfte. Neben legalen Anwendungen entwickelt sich die Krypto-Welt zunehmend zu einem Sammelbecken für illegale Geldströme.
Kartelle nutzen digitale Vermögenswerte, um Drogengelder zu verschleiern, während Zahlungen im Zusammenhang mit Menschenhandel, Kinderpornografie oder Erpressungen durch Schadsoftware über Kryptowährungen abgewickelt werden können. Die digitalen Finanzstrukturen bieten damit vielfältige Möglichkeiten für unterschiedlichste Formen schwerer Kriminalität.
Auch zur Finanzierung von Terrorismus scheint die Krypto-Szene genutzt zu werden. Laut einem Medienbericht soll die palästinensische Terrororganisation Hamas in YouTube-Videos Wallet-Adressen eingeblendet haben, über die Unterstützer Bitcoin-Spenden für den Kampf gegen Israel leisten konnten. Dies berichtet zumindest CNN.
„Die globale Kriminalität nutzt Kryptowährungen überall dort, wo es möglich ist“, erklärt ein deutscher Ermittler, der weltweit zu entsprechenden Fällen arbeitet. Am Ende solcher Geldflüsse steht dann meist der Umtausch der digitalen Werte in klassische Währungen wie Euro oder Dollar – ein Schritt, für den die Täter üblicherweise Banken benötigen.
„Irgendwann müssen die Täter wieder an die Oberfläche, wenn sie Krypto in echtes Geld wechseln wollen“, sagt Jana Ringwald von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. „Und genau dort liegt unsere Chance, anzusetzen.“
Die ZIT existiert seit 2010 und arbeitet eng mit den Spezialisten des nahegelegenen Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden zusammen, wo eine eigene Cybercrime-Einheit aktiv ist. Seit 2017 konnten beide Behörden gemeinsam rund 245 Millionen Euro aus Krypto-Straftaten sicherstellen.
Auch die Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls schlägt Alarm. Die Zahl der Verdachtsmeldungen steigt spürbar, berichtet Behördenleiter Daniel Thelesklaf gegenüber WDR, NDR und SZ: „Im Jahr 2024 hatten wir knapp 9.000 Meldungen mit Bezug zu Kryptowerten. Und das zeigt sehr deutlich, dass Geldwäscher die Möglichkeiten dieses Sektors zunehmend für sich nutzen.“
Lasche Regulierung in vielen Staaten
Außerhalb der EU existieren zahlreiche Länder, in denen effektive Kontroll- und Überwachungsmechanismen im Kryptobereich bislang kaum etabliert sind. Geldwäscher nutzen diese regulatorischen Lücken gezielt aus und siedeln sich bevorzugt in Staaten an, in denen die Aufsicht deutlich schwächer ist als innerhalb der Europäischen Union.
„Wir beobachten, dass auch professionelle Geldwäscher – oft in enger Verbindung mit Strukturen des organisierten Verbrechens – die bestehenden Schwachstellen im Kryptosektor systematisch ausnutzen, um Erlöse aus illegalen Aktivitäten zu verschleiern“, erklärt FIU-Leiter Daniel Thelesklaf.
Für die Opfer von Krypto-Betrug stehen die Chancen auf Rückerstattung häufig schlecht. Auch Felix Wandraschek hatte bislang wenig Erfolg bei der Rückverfolgung seines Geldes. Lediglich eine Luxemburger Kryptobörse stufte einige Transfers in seinem Fall als verdächtig ein und fror entsprechende Beträge auf einem Wallet ein. Immerhin rund 150.000 Euro konnten so zu ihm zurückgelangen.



